Lieber Leser,
meistens schreibt man am Ende einer Geschichte vom Tod eines Menschen. Durch Ellys Leben und dessen besonderen Leitfadens fange ich fast ganz am Anfang meines Schreibens damit an. Ich habe heute im Bundesarchiv nach ihr gesucht und bin fündig geworden:
Frank, Elly
geboren am 11. Dezember 1877 in Stolp / – / Pommern
wohnhaft in Berlin
Deportationsziel ab Berlin:
27. November 1941, Riga
Todesdatum/-ort:
30. November 1941, Riga – Rumbula
Die formelle Ansicht der Daten sind unter http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1050112 zu sehen.
Ich war tief traurig, als ich sah, dass Sie im Konzentrationslager gestorben ist. Das mag vielleicht naiv klingen, wenn ich eine Jüdin recherchiere, die einen Stolperstein erhalten soll. Ich hatte am Anfang meiner Recherche jedoch keinerlei Hinweise erhalten, wo, wann oder wie Elly gestorben war. Vielleicht hatte sie sich selbst das Leben genommen. Vielleicht war sie geflohen. Außerdem war ich bei meiner Initialrecherche nicht auf einem Weg, der zu ihrem letzten Ort geführt hatte. Denn irgendwie sollte ich zu Anfang noch nicht gleich wissen, was passiert ist. Das hätte mich–so jetzt aus meiner Retrospektive–zu traurig gemacht, als dass ich mit der gleichen unberührten Offenheit meine Nachforschungen betrieben hätte. Und nun bin ich etwas vorbereiteter.
Nach meiner ersten Trauer möchte jetzt noch mehr über Elly erfahren. Hatte sie Familie? War sie verheiratet? Oder hatte sie eine Liebe, die ihr etwas bedeutete? Der Name Frank kam sehr häufig vor, was es nicht einfacher macht, Leute zuzuordnen. 1985 wurde noch eine Frank in Stolp geboren. Alice Frank, 27. März 1885 (http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1012808). Vielleicht war dies ihre Schwester. Auch sie lebte in Berlin, wurde aber erst eineinhalb Jahre später nach Auschwitz deportiert. Dazu schreibe ich später noch mehr im Detail. Bei beiden Frauen steht nicht, dass sie verheiratet waren (wie bei anderen, siehe z.B. bei Anna Frank, geb. Meisel (http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de867157)). Das Gefühl, dass Elly verheiratet war, hatte ich von Anfang an nicht. Ich kann nicht sagen, warum. Es ist mein Bauchgefühl.
Ehrlich gesagt möchte ich die neuen Informationen erst mal verdauen. Eine Tür ist aufgebrochen worden; und hinter ihr sehe ich ein Knäuel neuer Daten, aber auch aus Menschen, über die ich mich vor meiner Reise zu Elly belesen habe oder denen ich wie auch immer „begegnet“ bin. Damit meine ich zum Beispiel Otto oder Anne Frank. Natürlich bin ich beiden nicht im ihren Leben begegnet. Doch wenn man Bücher oder Geschichten liebt, dann ist man jedem in dieser Geschichte begegnet. In Gedanken, in der Fantasie, im Herzen. Ich habe Annes Tagebuch mehrere Male gelesen und besitze dazu noch das Hörbuch, gelesen von Fritzi Haberlandt (sehr zu empfehlen). Ich war im Anne Frank Museum in Amsterdam und Berlin. Ich habe eine Verbindung zu Anne Frank–und ich bin mir sicher, dass viele Mädchen und Frauen diese Liebe teilen. Ich möchte Anne einen oder mehrere Artikel widmen, die im Laufe meines Schreibens kommen. Lieber Leser, halte die Augen offen.
Es ist nun 19 Uhr und der Tag wird für mich ruhiger. Meine Füße sind seit der heutigen Erkenntnisse etwas deutlicher am Berliner Boden. Und selbst wenn ich in einer anderen Stadt oder einem anderen Land wohnte, wären sie es auch. Es hat mich verändert. Und das ist, so glaube ich, auch ein Leitfaden meiner Geschichte über Elly. Sie handelt von ihr und mir. Heute Abend gehe ich ins Bett und denke daran, dass Elly 63 Jahre alt und kurz vor ihrem 64. Geburtstag in Riga ermordet wurde. Riga ist ca 1200km von Berlin entfernt. Ich stelle mir vor, dass Elly sofort nach ihrer Ankunft in Riga getötet wurde. Ob dies herzlos und zugleich erleichternd ist, kann nur Elly selbst sagen. Plötzlich ist das Wort, das mir bleibt. Ich bin immer noch sehr traurig. Ich denke an Dich, Elly. Und ich denke an Dich, lieber Leser. Vielen Dank für Deine Reise mit mir.
Eure Juliane
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