Berlin mit Kunstseide und Irmgard Keun

Das kunstseidene Mädchen, Irmgard Keun

Das kunstseidene Mädchen, Irmgard Keun

Lieber Leser,

ich bin nach meinen Winterferien wieder am Schreibtisch.  Während meiner literarischen Abwesenheit habe ich Ellys Spuren in Berlin verfolgt.  Wer waren ihre Nachbarn und wo hat sie sich zu welchen Zeiten aufgehalten?  Ich habe schon Nachbarn gefunden (dazu später mehr). Dabei stieß ich unausweichlich auf die Frage, wie das Leben in Berlin in den 20er und 30er Jahren war. Denn wenn ich mehr von dem damaligen Berlin verstehe, sehe ich auch Elly deutlicher.  Bevor ich historische Ereignisse oder Eindrücke aufzähle, möchte ich zuerst ein Buch erwähnen, das diese Zeit sehr gut erfasst: Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun.  Wenn man hier eintaucht, kann man sich sehr gut vorstellen, in welchem Umfeld Ellys in ihrer Schaffenszeit gelebt hat.  Und wie wir heute auch wissen: jeder sucht sich die Stadt aus, in die er am besten passt.

Ich habe Das kunstseidene Mädchen im Juni 2010 gelesen (ich schreibe immer das Datum auf die letzte Seite eines jeden gelesenen Buches).  Hier der Klappentext: „Doris ist Sekretärin bei einem zudringlichen Rechtsanwalt.  Sie nicht mehr tagaus, tagein lange Briefe tippen, sondern ein Star werden.  Sie will in die große Welt, ins Berlin der Roaring Twenties…“  Im Buch zieht Doris durch Berlin, feiert, lässt sich von reichen, älteren Männern einladen.  Zu jeder Zeit gibt es irgendwo eine Party.  Dieses Berlin fühlte sich damals (fast) genau so wie das Berlin von heute an.  Bei vielen Passagen, die in Bars oder Clubs stattfinden, konnte ich eine Bar von heute vor mir sehen.  Ich werde hier nicht viel der Geschichte verraten.  Man lernt die Hauptstadt noch mal ganz neu (und dann doch nicht?) kennen.  Als Berliner gehört das Buch in jede Wohnung–und als Freund von Elly Frank jetzt auch.

Ich stelle mir also vor, dass Elly sich vom ewigen Freiheitsgefühl dieser Stadt angezogen fühlte. Das muss ein Teil ihrer Lebensgeschichte sein.  Und da ich bei dieser Recherche auch etwas Fantasie mitbringe, stelle ich mir vor, dass ihre Geschichte auch ein Weg der Boheme und der Rebellion war.  Wahrscheinlich hat ihr familiäres Umfeld nicht unterstützt, dass sie gemalt hat.  Sie war laut Akten nicht verheiratet.  Sicherlich wollte ihre Familie die jüdischen Traditionen und Wurzeln ehren und sie mit jemandem aus dem Umfeld verheiraten.  Vielleicht wollte sie auch nicht auf die traditionelle Weise Kunst schaffen und sich lieber von der Avantgarde in Berlin beeinflussen lassen.  Das macht sie umso sympathischer.

Beim nächsten Artikel werde ich euch verraten, was ich über Ellys Nachbarschaft in der Klopstockstraße erfahren habe.  Ich werde euch außerdem von meine kommende Reise nach Polen berichten.

Einen schönen Abend, Eure Juliane

Die ganze Welt der Anne Frank

Lieber Leser,

Anne Frank Kollektion

Anne Frank Kollektion

bei meiner Lesereise darf das Tagebuch der Anne Frank natürlich nicht fehlen.  Ich habe nicht nur die erweiterte Ausgabe, sondern auch eine illustrierte Version, die mir meine Mutter schenkte, als ich 12 war.  Ich erinnere mich nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal von Anne Frank hörte.  Woran ich mich sehr deutlich erinnere, ist, ist meine Faszination der Schranktür, die den Eingang zum Hinterhaus verbirgt.  Ich wollte danach alles über Anne wissen.  Vor ein paar Jahren kaufte ich mir „Grüße und Küsse an alle“ von Miriam Pressler (die auch die neue Version von Anne Tagebuch übersetzt hat), in der über die Familie Frank und deren überlebende Verwandten berichtet wird.

Als ich Elly im Bundesarchiv recherchierte, fand ich unter dem geläufigen Nachnamen auch Annelies (also Anne Frank) und den Rest ihrer Familie.  Mir kamen die Namen sofort bekannt vor und ich brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, dass es die Anne Frank ist.  An diesem Tag war ich schon sehr traurig, Elly letzte Spuren zu verfolgen.  Anne Frank auf einem gleichen Weg zu finden, machte mein Herz noch schwerer.

Anne Frank entschied sich im Frühjahr 1944, nicht mehr nur für sich selbst Tagebuch zu führen, sondern ihre Erinnerungen zu veröffentlichen, um die „Leiden des niederländischen Volkes während der deutschen Besatzung“ zu dokumentieren (Vorwort, Anne Frank Tagebuch, Fischer Verlag).  Dass sie diese Aufgabe immer mehr verstanden hat, bemerkt man vor allen Dingen im letzten Drittel des Tagebuches.  Es wird immer philosophischer und klarer.  Das habe ich besonders genossen.  Um mich auf diesen Artikel vorzubereiten, habe ich außerdem recherchiert, wer die Untergetauchten verraten hat.  Hierzu gibt es verschiedene Theorien, die drei mögliche Täter herausstellen.  Keine konnte es jedoch nachgewiesen werden (http://www.welt.de/print-wams/article605858/Anne-Frank-vom-Geschaeftspartner-ihres-Vaters-verraten.html).  Es sollen entweder der Lagerarbeiter Willem van Maaren, Lena Hartog-van Bladeren (eine Putzfrau, die ihren dort arbeitenden Mann (einen Lagerarbeiter) schützen wollte) oder Anton Ahlers, einen Geschäftspartner von Otto Frank.  Man kann sicherlich nie genau feststellen, wer es war.  Es ist tragisch, dass das Hinterhaus kurz vor der Befreiung verraten wurde.  Ich schaute auf den letzten Seiten immer wieder aufs Datum und wünschte mir, dass es alle geschafft hätten.

Man kann sich in weitere Geschichten über die Familie und auch entfernte Familienmitglieder verlieren.  Erwähnenswert ist zum Beispiel Eva Schloss, Anne Franks Stiefschwester.  Eva Schloss überlebte mir ihrer Mutter den Holocaust, die Otto Frank in zweiter Ehe heiratete.  Auch Eva Schloss hat ihre Memoiren herausgebracht.  Das Buch heißt „Evas Geschichte“.  Außerdem stehen natürlich verschiedene Museen zur Verfügung, in denen man sich Annes Originaltagebuch ansehen kann.  Natürlich ist da einmal das Anne Frank Haus in Amsterdam und das Anne Frank Museum hier in Berlin.  Beide habe ich besucht und kann sie empfehlen.   Es gibt auch ein neues Detail zu bestaunen: vor kurzem wurden alte Murmeln von Anne Frank dem Anne Frank Museum gestiftet.  (http://www.thehistoryblog.com/archives/29016)

Ganz persönlich habe ich in meinen Tagebüchern geblättert und alte Museumskarten gefunden.  Es ist schön, seine eigenen Aufzeichnungen durchzulesen und sich selbst noch einmal zu besuchen.

Eure Juliane

„Untergetaucht“ von Marie Jalowicz Simon

Lieber Leser,

wie versprochen kommt heute mein erster Beitrag zu den verschiedenen Büchern, die ich auf meinem Weg zu Elly Frank lese. Ich suche nach Stimmen von Untergetauchten und/oder Unterdrückten, um eine Landschaft zu bauen, in der ich die Alltäglichkeiten des damaligen Lebens verstehe. Verschiedene Altersgruppen werden mir hier ihre Welt zeigen, und ich füge sie Ellys Mosaik hinzu.  Bei allen Rezensionen gehe hier nicht klassisch auf Inhalt und Qualität ein, sondern hebe hervor, inwieweit mir das Buch das damalige Leben vermittelt und mich weitergebildet hat.

Ich begann mit  „Untergetaucht“ von Marie Jalowicz Simon (http://www.fischerverlage.de/buch/untergetaucht/9783104028972).  Das Buch schenkt uns im Einband eine Karte Berlins, auf der man Marie von 1922 bis 1945 zu ihren neunzehn Wohnungen oder Verstecken folgen kann.  Das finde ich überaus bindend und zugleich spannend.  Marie lebt bis zu ihrem ersten Unterschlupf in Berlin Mitte.   Sie taucht unter, um im Gegensatz zu den meisten Bekannten, nicht in die Arbeitslager aufbrechen zu müssen.  Sie erkennt darin ihren sicheren Tod.  Interessant ist ihre Erzählung zu Freunden und Bekannten, die einer Art Gehirnwäsche unterliegen, welche sie dazu bringt, ihre Sachen zu packen und an dem Tag ihrer Abholung mit in die Arbeitslager zu gehen.   Mit unserem heutigen Wissen von Konzentrationslagern können wir dieses Fügen nicht nachvollziehen.  Doch ich erinnerte mich an die Erzählungen Werner Babs, dass viele Menschen wie auf einer Reise ihren Schmuck und wertvolle Kleidung mitnahmen, die ihnen dann gleich bei der Ankunft im Konzentrationslager abgenommen wurde.

Der Tenor des Buches ist ehrlich und stark, und hebt dadurch natürlich Marie Jalowicz in einer Art intellektuellem Trotz von allen anderen Figuren hervor.  Genau so soll ein Buch sein und genau so empfehle ich es gerne weiter.  Was brachte es mir also auf meinem Weg zu Elly Frank bei?  Ich lernte die Fasern der Stadt kennen: Bewohner, Bezirke, Gesinnungen, Zerfall und Hoffnung.  Und wie die damaligen Gesetze das Zusammenleben veränderte: es gab die, die ein Zusammen sahen.  Andere trennten radikal.  Und irgendwie spüre ich, dass Berlin sich in seinen grundlegenden Sozialzügen nicht stark vom heutigen Berlin unterscheidet.  Natürlich haben die Wende und die Zeit einiges verändert und hervorgebracht.  Doch wie es sich wo leben ließ, erscheint mir ähnlich.  (Wer hier noch einen passenden Vergleich von damaligen und heutigen Berlin haben möchte, kann gerne „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun lesen.  Sehr empfehlenswert).

„Untergetaucht“  im Fischer Verlag,  kostet 19,99€.  Ich empfehle jedem Ordnungsliebhaber, das wunderschöne Cover beim Lesen zu entfernen, um Knicke und Risse vorzubeugen.  Wie ihr auf dem Foto sehen könnt, hat mein Exemplar jetzt liebevolle Schäden.  Doch ich mag diesen Charme der eigenen Bücher.  Bis zum nächsten Mal.  Das Lesen geht weiter.

Eure Juliane

P.S. Marie Jalowicz Simons Sohn Hermann ist Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum.  Interessierte können u.a. das Museum besuchen und sich weiter informieren (http://www.centrumjudaicum.de/).