Liebe Leser,
ich melde mich wieder aus dem Rechercheland. In den letzten Wochen habe ich viele Gespräche geführt, um mehr über Juden aus Pommern und das generelle Nachforschen von Menschen, die einen Stolperstein erhalten, zu erfahren. Ich wollte wissen: was haben die Menschen aus Pommern gemeinsam und wie wurde das Leben anderer Menschen (siehe z.B. die Familie Hirsch in der Linienstraße, von der ich vor einiger Zeit berichtet habe) für Interessierte dargestellt? Als ich mit der Initiatorin der Familie Hirsch sprach, sagte sie mir, dass sie sich bei dem Sammeln der Informationen immer gefragt hat, wie viel sie über sich selbst für andere preisgeben würde, wäre sie eine der Familien, für die ein Stolperstein verlegt wird. Faire Frage. Ich könnte auch bei Elly familiäre Details aufdecken, die sie aber sicherlich nicht in der Öffentlichkeit sehen wollen würde. (Leider) habe ich bis jetzt noch nichts dazu gefunden–doch ich habe mir nach diesem Gespräch versprochen, genau hinzusehen.
Das bringt mich natürlich zu der Frage, ob es Elly recht wäre, dass ich über sie recherchiere und über sie (manchmal rein) als Person schreibe. Nach Gesprächen mit Tatjana Ruge und etwas Zeit, weiß ich, dass sie es bevorzugte, wenn ihre Kunst im Mittelpunkt steht. Dann sind natürlich einige meiner bisherigen Artikel für sie etwas zu persönlich. Aber die kann ich jetzt nicht mehr löschen, denn so fing schließlich alles an. Es bringt mich jedoch auch schneller zum Thema, weswegen es keine Fotos, Zeichnungen befreundeter Künstler oder Selbstportraits von Elly gibt. Man denke an van Gogh, Picasso, Frida Kahlo…die haben sich auch selbst portraitiert. Es erscheint mir fast intuitiv, dass sich jeder Maler irgendwann mindestens ein Mal selbst malt; vielleicht auch nur, weil er etwas ausprobieren möchte. Ich glaube, Elly stand nicht gerne selbst im Mittelpunkt, sondern wollte, dass ihre Kunst dies tat. Das gibt der Interpretation ihrer Werke natürlich noch mal eine klarere Perspektive.
Obwohl ihre Werke verspielt und fast naiv gemalt sind, glaube ich, dass hinter dieser sanften Darstellung eine deutliche Aussage steht: ein kritischer Blick auf die Liebe. Diese Idee kam mir schon fast von Anfang an, als ich die Postkarten von Elly in der Hand hielt. Oft werden Kinder dargestellt, die klassische Gefühlskonstellationen darstellen: erwiderte oder unerwiderte Liebe, Missverständnisse, Zuneigung etc. Durch die natürliche Unschuld der Kinder versteht man die Gefühle um so deutlicher und unmissverständlicher. Das gefällt mir. Auf weiteren Bildern–die auch zu meinen Lieblingsbildern gehören–malte Elly ein junges Paar–er schwarz, sie weiß–die am Gardasee standen, sich küssten oder den Sonnenuntergang zusammen ansahen. Sicherlich damals wie auch heute eine Konstellation, mit der nicht alle einverstanden waren. Mir ging bei dem Bild das Herz auf, weil der Mann einen Anzug trug und als wahrer Gentlemen sanft seine Frau im Arm hält. Ich bin haltlos romantisch–das Bild springt an. Es ist zeitlos, genau so wie die Liebe. Elly hat hier einiges gewagt und zeigt ihre Offenheit. Das ist für mich eine sehr deutliche Positionierung zum Thema Liebe und Freiheit. Außerdem finde ich es schön, dass sie den Gardasee gemalt hat (wie ich darauf komme, dass es der Gardasee ist? Als der Photograf der BILD Zeitung bei mir im Café war, bemerkte er dieses Detail und erklärte mir, dass dies der Gardasee sei. Grazie!).
Was ziehe ich also daraus? Ich glaube Elly war sehr verschlossen und lebte privilegiert (mehr dazu im nächsten Artikel). Sie ist nicht, so wie ich es zu Anfang annahm, eine Frau, die gerne direkt nach draußen wollte. Ich glaube, dass ihr die Darstellung anderer lieber war als die der eigenen Person. Das musste ich erst lernen zu respektieren, denn ich selbst bin das genaue Gegenteil. Auf meinem weiteren Weg werde ich dies immer wieder respektieren, wenn ich über weitere neue Details berichte: Ellys Wohnung, Ellys Kinderbücher und Ellys Geburtsurkunde (und meine Reise nach Pommern).
Bis dahin Grüße aus der Sonne,
Eure Juliane
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